Charlotte Eschenlohr “Call the now“, 2016
- at Being3 gallery/Bejing
Die deutsche Künstlerin Charlotte Eschenlohr lebt und arbeitet in Peking. Ihre künstlerische Arbeit ist geprägt von ihrer Sicht auf die moderne Gesellschaft, die sie vorwiegend als Collagen abbildet. Die Collage lebt von der Zergliederung des großen Ganzen in seine Einzelteile und dem Zusammensetzen dieser Teile zu einem neuen Gesamtwerk. Welche künstlerische Ausdrucksform wäre wohl besser geeignet, eine globale Perspektive zu transportieren ohne die Scheuklappen einer nationalistischen Weltanschauung.
In dieser Ausstellung präsentiert Charlotte Eschenlohr fünf Serien: Dragon Fly, All Is Real, Strange Pureness, Easiness und Call the Now. In den Werken Dragon Fly und All Is Real kombiniert die Künstlerin eine scheinbar willkürliche Auswahl von Fotografien mit Wortfragmenten und Zeichnungen, die im Zusammenwirken eine verspielte, zufällige Atmosphäre schaffen. Die sieben Feen aus der Legende um Dong Yong und die Elsternbrücke kollidieren mit erotischen Darstellungen, Neon-Glamour und einer hyperrealen, billigen Schönheit; Buddha-Statuen sind umgeben von Essen und Sex; tönerne Krieger und Bilder von Tigerköpfen begegnen der modernen Frau; Straßenszenen mit Ladenfassaden finden sich neben einer Hotelrezeption, deren Hintergrund ein klassisches chinesisches Gemälde mit Pfingstrosen schmückt; Wolkenkratzer, kalligrafische Elemente und Markenlogos aus der westlichen Welt verschmelzen miteinander. Die wilde Kombination dieser Bilder und Symbole zeichnet jedoch eine eindeutige, starke Allegorie von einem vielschichtigen China: Auf der einen Seite stehen archaische, feudale Konzepte und eine altertümliche Kultur, auf der anderen die Konsumsucht einer postmodernen Nation, die an Pseudo-Traditionen festhält. Charlotte Eschenlohr ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie ist überwältigt von der modernen Gesellschaft Chinas mit ihren vielfältigen Erscheinungsformen, die sie als Bilder und Symbole zu Werken komponiert. Dem Betrachter vermitteln sie in aufschlussreicher Weise die „Realität“ in dem Land des „Drachen-Tattoos“, wo degradierte kulturelle Trümmer auf die durch den modernen Lebensstil bedingte Fragmentierung der Gesellschaft treffen.
Die Serien Strange Pureness und Easiness bringen die Subjektivität der Künstlerin pointiert zum Ausdruck. Sie macht sich darin die Methoden kommerzieller Poster zueigen, konkret die effektheischende, ungeordnete, billige Art, das Publikum anzusprechen. Mit diesen Werkzeugen bildet sie die unzähligen Erscheinungsformen der Kommerzkultur ab, die alltäglichen Begehrlichkeiten und das Erbgut der Traditionen im Zeitalter der Globalisierung. Damit lässt sie die Fassade des Materialismus, den verordneten Zeitgeist und das Gebot der Vernunft in ihren Grundfesten erbeben, denen wir im öffentlichen Leben so verbissen hinterherjagen. Der dadaistische Geist im künstlerischen Schaffen von Charlotte Eschenlohr äußert sich in der Aufgliederung und der Reflexion des täglichen Lebens, das sich uns in immer gefälligeren Verpackungen präsentiert.
In ihrer jüngsten Serie Call the Now arrangiert die Künstlerin Frauenbilder, von klassischen Porträts der römischen Göttin Venus hin zum Idealbild der modernen Frau, wie es oft in den Massenmedien gezeichnet wird. Venus wurde über Generationen als der Fleisch gewordene Inbegriff von Liebe und Schönheit bewundert und verehrt. Die Venus von Milo von Alexandros geht auf das griechische Altertum zurück, die Geburt der Venus von Sandro Botticelli entstand während der Renaissance. Gemeinsam ist ihnen die idolisierte Darstellung der Göttin Venus. In der zeitgenössischen Göttinnenverehrung werden die klassischen Darstellungen abgelöst und die Massenmedien propagieren ein neues Bild einer gewöhnlichen Frau. Die klassische Venus, wie sie in der „Gemäldegalerie Staatliche Museen zu Berlin“ zu sehen ist, ist aus der Öffentlichkeit verschwunden und hat einer „neuer Göttin“ in Designerklamotten Platz gemacht. Mit künstlerischen Mitteln, die magisch und naturalistisch zugleich wirken, lässt Charlotte Eschenlohr das Bild einer Frau entstehen, wie sie die Massenmedien geschaffen haben. In der Gestalt schlanker Frauenkörper auf High-Heels materialisiert sich das Konzept von Liebe, Schönheit und Avant-Garde, vor dem sogar jeder Mann beschämt den Blick senkt. In Wahrheit jedoch sind sie nichts weiter als ein Abbild unserer konsumorientierten Gesellschaft. Dieses Frauenbild kann nicht dazu beitragen, den Stellenwert der Frau in der Gesellschaft zu verbessern. Schlimmer noch, es degradiert Frauen zu Opfern des Materialismus. In ihrem Werk Call the Now trotzt die Künstlerin dem Diktat der Massenmedien und entzaubert den Mythos, den unsere konsumverliebte Kultur uns oktroyiert.
In der heutigen Kunstwelt ist die Collage längst keine neue Ausdrucksform mehr. Bemerkenswert wird eine Collage daher erst durch eine einfache Technik und ein scharfsinniges Konzept. Mutig bedient sich Charlotte Eschenlohr der chaotischen Vorlage, die der moderne Alltag liefert. Zusammen mit den kitschigen Bildern aus den Massenmedien fügt sie sie zusammen, ohne sie dabei retuschieren oder beurteilen zu wollen. Unmittelbar lässt das Werk Bedeutungen und Orakel im Kopf des Betrachters entstehen, und die halluzinatorische Darstellung der Realität bringt ein Destillat aus Wahrhaftigkeit und Reinheit hervor.